"Dürfen die das?" – Vom Umgang mit (un-)erlaubten Fragen im Vorstellungsgespräch

Disclaimer: Dieser Artikel ist nach bestem Wissen und Gewissen recherchiert. Dennoch kann kein Anspruch auf juristische Fehlerlosigkeit erhoben werden. Weiterführende Links zu Fachartikeln von Rechtsanwälten findest du am Ende des Artikels. Bei speziellen Fragen suche dir bitte juristische Beratung, denn dieser Artikel kann nur einen allgemeinen Überblick geben.

• „Planen Sie, in den nächsten zwei Jahren zu heiraten?“

• „Liegt bei Ihnen eine Lohnpfändung vor?“

• „Wie oft waren Sie im letzten Jahr krank?“

• „Welche politische Einstellung haben Sie?“

 

„So eine Unverschämtheit!“ mögen viele Bewerber bei solchen Fragen von Personalern denken.

Und in der Tat – es gibt eine Menge äußerst fragwürdiger Fragen und Themenfelder, die in einem Vorstellungsgespräch nichts zu suchen haben. Doch auch hier gilt: Keine Regel ohne Ausnahmen.

 

Denn in Deutschland gibt es kein einzelnes „Arbeitsgesetz“, sondern verschiedene Gesetze, Erlasse und Verordnungen, sprich Rechtsquellen, aus denen sich die Rechtsprechung im Arbeitsrecht speist. Hier ein Überblick über einige wichtige Gesetze und Verordnungen:

 

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) 

Das 2006 in Kraft getretene Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz dient dem Schutz von Arbeitnehmern vor einer Diskriminierung wegen der Merkmale der Rasse, ethnischen Herkunft, Religion und Weltanschauung, Behinderung, des Alters, der sexuellen Identität und des Geschlechts. Es verbietet eine Benachteiligung wegen dieser Merkmale und sieht bei einer Diskriminierung Schadensersatzansprüche vor. 

 

Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) 

Das Arbeitsschutzgesetz dient dazu, die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer durch Arbeitsschutzmaßnahmen abzusichern und zu verbessern. 

 

Arbeitszeitgesetz (ArbZG) 

Das Arbeitszeitgesetz enthält insbesondere Regelungen zur Begrenzung des Umfangs und der Lage der Arbeitszeit (z.B. maximal zulässige Arbeitsstunden pro Woche, Abstand zwischen Beendigung der Arbeit und Wiederaufnahme der Arbeit etc.) und dient deshalb ebenfalls dem Schutz der Arbeitnehmer.

 

 

Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) 

Vom Grundsatz her ist ein Arbeitsvertrag ein privatrechtlicher Vertrag. Das Vertragsrecht ist in der Bundesrepublik Deutschland im BGB geregelt, weshalb die allgemeinen vertragsrechtlichen Regelungen des BGB auch auf den Arbeitsvertrag Anwendung finden. 

Außerdem enthält das BGB in den §§ 611 ff. spezielle Regelungen zum Dienstvertrag und auch zum Arbeitsvertrag. Der Arbeitsvertrag ist eine besondere Form des Dienstvertrags. 

 

Gewerbeordnung (GewO) 

Die Gewerbeordnung enthält in den §§ 105 – 110 arbeitsrechtliche Regelungen unter anderem zum Direktionsrecht (Weisungsrecht) des Arbeitgebers, zu Gehaltsabrechnungen und zum Arbeitszeugnis. 

 

Grundgesetz (GG) 

Im Grundgesetz sind in den Artikeln 1 bis 19 die Grundrechte festgehalten. Für Arbeitnehmer wichtig sind z.B. Artikel 3 (Gleichberechtigung und Diskriminierungsverbot) und Artikel 11 (Freizügigkeit), vor allem aber Artikel 12 (Berufsfreiheit). Gemäß diesem Artikel haben alle Deutschen das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. 

 

Mindestlohngesetz (MiLoG) 

Seit dem 01.01.2015 greift in Deutschland das Mindestlohngesetz. Existiert kein Tarifvertrag, so hat jeder Arbeitnehmerin Anspruch auf Zahlung des gesetzlich festgelegten Mindestlohns (ursprünglich 8,50 Euro). Aktuell liegt der Mindestlohn bei 10,45 Euro. Zum 01.10.2022 wird er auf 12,00 Euro steigen.

 

Mutterschutzgesetz (MuSchG) 

Das Mutterschutzgesetz enthält, wie der Name bereits vermuten lässt, Regelungen zum Schutz von Arbeitnehmerinnen, die schwanger sind, bzw. enthält besondere Regelungen für Arbeitnehmerinnen, die gerade Mutter geworden sind. 

 

 

Ein Vorstellungsgespräch dient dem Arbeitgeber dafür, zu prüfen, ob er mit dem Bewerber einen Arbeitsvertrag schließen will. Deshalb steht Arbeitgebern nach geltender Rechtsprechung im Rahmen der Anbahnung eines Arbeitsvertrags ein sog. Fragerecht zu.

 

Dies umfasst z.B. 

• Name

• Anschrift

um überhaupt einen Arbeitsvertrag aufsetzen und übermitteln zu können.

 

In §26 BDSG heißt es dazu: „Personenbezogene Daten […] dürfen für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses verarbeitet werden, wenn dies für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses […] erforderlich ist.“

 

Dem Interesse des Arbeitgebers entspricht es, möglichst viel über den Bewerber zu erfahren – dem Interesse des Arbeitnehmers, möglichst wenig über sich selbst offenbaren zu müssen. Dem Bedürfnis nach möglichst umfangreicher Information des zukünftigen Arbeitgebers im Vorstellungsgespräch sind durch das Persönlichkeitsrecht des Bewerbers Grenzen gesetzt. Das Fragerecht wird dem Arbeitgeber juristisch deshalb nur insoweit zugestanden, wenn er ein gleichermaßen

• sachlich nachvollziehbares 

• berechtigtes

• billigenswertes 

• schutzwürdiges 

Interesse an der Beantwortung seiner Frage für das mögliche Zustandekommen des Arbeitsverhältnisses hat.

 

Im Klartext heißt das, nicht jede vom Arbeitgeber gestellte Frage ist sachlich gerechtfertigt oder juristisch berechtigt.

Die Arbeitsrechtler gehören schließlich nicht ohne Grund zu den Vielbeschäftigten in ihrer Branche.

 

Aber auch Juristen sind nur Menschen - dementsprechend unterschiedlich fallen mitunter die Urteile vorm Arbeitsgericht aus. 

 

Die hier nun folgenden Aussagen geben die Mainstream-Meinung deutscher Arbeitsgerichte wieder.

 

Berufliche Fähigkeiten

Fragen nach beruflichen und fachbezogenen Kenntnissen, Qualifikationen und Fähigkeiten sowie nach bisherigem beruflichem Werdegang, nach Erfahrungen und nach Prüfungs- oder Zeugnisnoten dürfen uneingeschränkt gestellt werden. Fragen, die auf diesen Themenkomplex abzielen, sind sachlich nachvollziehbar, weil hier das berechtigte Interesse des Arbeitsgebers, eine Eignung des Bewerbers abzuklären, erkennbar wird. Achtung: Werden Fragen nach dem beruflichen Werdegang absichtlich falsch beantwortet oder sogar gefälschte (Prüfungs-)Unterlagen vorgelegt, kann dies zu einer Anfechtbarkeit des Arbeitsvertrags wegen arglistiger Täuschung nach § 123 BGB führen.

 

Schwangerschaft

Bei Einstellungsverhandlungen ist die Frage nach einer Schwangerschaft grundsätzlich und ohne Ausnahme unzulässig, selbst dann, wenn es sich um eine befristete Stelle handelt. §3 AGG legt fest: „Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt […] im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.“ So verständlich es ist, dass Arbeitgeber Jobs langfristig besetzen wollen – die Frage nach der Schwangerschaft ist grundsätzlich nicht zulässig. Es ist allein die Entscheidung der Schwangeren, ob Sie dem (künftigen) Arbeitgeber von ihrer Schwangerschaft erzählt. Es besteht weder eine rechtliche Verpflichtung, die Schwangerschaft im Bewerbungsschreiben zu erwähnen, noch muss die Schwangere bei einem Vorstellungsgespräch von sich aus etwas dazu sagen.

 

 

Religionszugehörigkeit

Grundsätzlich darf der Arbeitgeber niemals nach der Religion eines Bewerbers fragen. Ausnahmen ergeben sich jedoch bei konfessionellen Arbeitgebern, z.B. Diakonie, Caritas oder Kirchengemeinden. Eine religiöse Institution hat ein durchaus berechtigtes Interesse daran, dass sich die Konfession (und damit die Wertvorstellung) des zukünftigen Arbeitnehmers mit der eigenen deckt. Vielen Bewerbern ist nicht bewusst, dass die beiden großen Kirchen (gleich nach dem Öffentlichen Dienst) der zweigrößte Arbeitgeber Deutschlands sind. Knapp 1,3 Mio. Menschen arbeiten in Kindergärten, Krankenhäusern und Sozialeinrichtungen.

 

Familienstand und Familienplanung

Die Frage, ob eine Bewerberin oder ein Bewerber in absehbarer Zeit heiraten will, ist ebenso unzulässig wie die Frage nach Kinderwunsch oder Adoption. Vor allem Bewerberinnen hören diese Fragen sehr häufig. Die Frage nach dem Familienstand (ledig/verheiratet/verwitwet etc.) ist erst zulässig, wenn der Arbeitsvertrag geschlossen wurde und der Personalbogen zwecks Abführung der Sozialabgaben ausgefüllt werden muss.

 

 

Vorstrafen

Die Frage nach den möglichen Vorstrafen ist nur begrenzt zulässig. Der Arbeitgeber darf danach dann fragen, wenn es für die künftige Tätigkeit des Bewerbers einen Sachgrund gibt, dies in Erfahrung zu bringen. So kann zum Beispiel bei einem Werttransportfahrer nach Vorstrafen wegen Eigentumsdelikten gefragt werden. Wenn allerdings die Vorstrafe nicht oder nicht mehr im Bundeszentralregister vermerkt ist, darf sich der Bewerber als nicht vorbestraft bezeichnen. Wenn die Frage für die Besetzung des Arbeitsplatzes von Bedeutung ist, dann darf der Arbeitgeber auch nach aktuellen Ermittlungsverfahren fragen, wenn durch das Ermittlungsverfahren Bedenken hinsichtlich der Eignung des Bewerbers entstehen. Das wäre zum Beispiel gegeben, wenn gegen einen Erzieher ein Ermittlungsverfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern läuft oder anhängig ist.

 

Behinderung

Die Frage nach einer möglichen Behinderung ist nur dann zulässig, wenn der Arbeitgeber aufgrund der speziellen Anforderungen des Jobs berechtigte Zweifel an der Eignung des Bewerbers hat. Ansonsten ist eine solche Frage nach dem AGG und dem SGB IX unzulässig. Eine Ausnahme könnte nur dann bestehen, wenn das Fehlen einer Schwerbehinderung eine wesentliche und entscheidende Anforderung für die berufliche Tätigkeit ist. Manche Arbeitgeber, allen voran der Öffentliche Dienst, fördern aktiv die Einstellung behinderter und schwerbehinderter Menschen, sodass sie sogar einen Vorteil haben, ihre Behinderung zu erwähnen (sog. „Positive Diskriminierung“).

 

 

 

Was mache ich, wenn mir eine unerlaubte Frage gestellt wird?

 

Grundsätzlich haben Sie immer zwei Möglichkeiten:

 

Wahrheitsgemäße Beantwortung

Personaler sind auch nur Menschen. Und im Eifer des Gefechts kann es durchaus einmal passieren, dass eine eigentlich unzulässige Frage gestellt wird. Gerade wenn z.B. die Personalerin beiläufig von ihrem Mann und ihren Kindern erzählt kommt oft die Frage: „Haben Sie eigentlich auch Kinder?“ Die Frage ist an dieser Stelle gar nicht fies gemeint, sondern einfach nur ein Ausdruck des Interesses an Ihnen und Ihrer Person. Sollten Sie den Eindruck haben, dass der Personaler Ihnen wohlgesonnen ist und die Frage keinen negativen Zweck hat bzw. keine negativen Folgen für Sie hat, dann können Sie sich also auch dafür entscheiden, die Frage wahrheitsgemäß zu beantworten.

 

Recht auf Lüge

Es kann aber auch sein, dass man Sie ständig aufs Glatteis führen will bzw. dass Sie den berechtigten Eindruck haben, mit einer wahrheitsgemäßen Beantwortung der Frage Ihre Jobchancen komplett zu zerstören. Dann steht Ihnen das mehrfach durch das Bundesarbeitsgericht bestätigte „Recht auf Lüge“ zu. Wenn Ihnen der Arbeitgeber also Fragen nach Ihrer sexuellen Orientierung, Ihrer parteipolitischen Ausrichtung oder Ihrem Kontostand stellt, ohne dass es einen Sachgrund dafür gibt, dann können Sie sich wahlweise als bisexuelle, hochverschuldete AfD-Wählerin oder als asexuelles Grünen-Mitglied der Upper-Class outen – oder auch gar nicht beantworten.

 

Wenn Ihnen im Einstellungsgespräch unerlaubte Fragen gestellt werden, dann bedenken Sie immer den folgenden Grundsatz: Einmal ist menschlich, zweimal ist bedenklich, dreimal hat System!

 

 

Das Thema Unerlaubte Fragen im Einstellungsgespräch ist ein sehr umfassendes. Deswegen gibt es hier weiterführende Links zu Informationsseiten und Videos:

 

IHK Hochrhein Bodensee

betriebsrat.de

HAUFE

Kanzlei Kerner Hannover

Kanzlei Hasselbach Köln

DAHAG

W.A.F. Institut für Betriebsräte-Fortbildung

Rechtsanwältin Marion Neumann Hamburg

 

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